Sunday, March 23, 2014

Von der Wüste bis ins Eis



Der Grenzübertritt von Bolivien und Chile ist bemerkenswert. Schweren Herzens verabschieden wir uns von unseren Reisbuddies der vergangenen Tage. Während es für sie wieder zurück zu unserem Ausgangspunkt, ins bolivianische Uyuni und dann zurück nach La Paz geht, entlässt uns unser Fahrer auf einer kalten, windigen Hochebene auf fast 5.000 Meter. Dass sich hier die Grenze zwischen zwei nur bedingt befreundeten Staaten befindet, davon zeugt nur ein kleines Grenzhäuschen mit bolivianischer Flagge.

"Hochsicherheitsgrenze" Bolivien-Chile
Der Ausreisestempel des bolivianischen Grenzbeamten ist schnell besorgt. Und da wir sein Land und die Gastfreundschaft seiner Landsleute über den Klee loben, kommen wir sogar ohne irgendwelche Extraaufwendungen an den Stempel. Die Chilenen ihrerseits verzichten gleich ganz auf eine Grenzkontrolle hier oben und verlegen die Einreisekontrolle in das rund 80 Kilometer entfernte San Pedro de Atacama. Der Gedanke ist nicht abwegig, da es nur eine Straße durch die Wüste gibt und jeder mehr oder weniger eh nach San Pedro muss. Dafür leisten sich die Chilenen im Unterschied zu den Bolivianern eine Erste Welt Straßen-Infrastruktur. Auf einer glatt geteerten Schneise fahren wir von 5.000 Metern rund 2.500 Meter hinab Richtung San Pedro, wo wird die kommenden Tage verbringen wollen. Eben noch haben wir an der Grenze gefroren. Eine dreiviertel Stunde später empfängt uns warmer Wüstenwind, Palmen und eine lebhafte kleine Wüstenstadt. 

San Pedro de Atacama
San Pedro de Atacama ist der Tourismushub für die Atacama Region im Norden Chiles, der trockensten Wüste der Welt. Wobei der Unterschied zwischen trocken und trocken darin besteht, dass es in anderen Wüsten zwar auch trocken ist, aber dann wohl doch schon einmal geregnet hat.  In der Atacama Wüste hingegen soll tatsächlich noch nie ein Regentropfen den Boden berührt haben.

Die kommenden Tage entspannen wir. Wir warten auf unsere organisiert geführte Tour Richtung Santiago de Chile und unternehmen Ausflüge zu einem Observatorium, in eine Salzlagune und ins Tal des Mondes, wovon es in Südamerika übrigens auffällig viele gibt. Jedes Land hat eines dieser Valles de la Luna, die vor allem von viel Sand, seltsamen Steinformationen, viel Trockenheit, schroffen Bergen und atemberaubenden Sonnenuntergängen geprägt sind.

Auf nächtlicher Sternwartentour
Wer braucht schon das Tote Meer?
Unterwegs im Tal des Mondes
Warten auf den Sonnenuntergang

Na das hat sich doch gelohnt
Zur Abwechslung haben wir uns zur Rückkehr ins 2.000 Kilometer entfernte Santiago de Chile eine organisierte Tour in einem Kleinbus gebucht. Wir wollen einfach mal machen lassen und nicht immer selbst machen. Und so machen wir uns in einem Kleinbus in fragwürdigem Zustand auf den Weg nach Santiago. Schnell jedoch merken wir, dass uns nach rund fünf Monaten Individualreise das Korsett einer solchen Tour zu eng geworden ist. Wir lernen zwar auch lustige Menschen kennen, auf einmal müssen wir uns aber wieder an Zeiten halten. Wir sind an die immer gleichen Leute gebunden, deren Eigenheiten wir nun einige Tage ertragen müssen und trotten einem selbstherrlichen Reiseführer hinterher. Unvorhergesehen sind durch Streiks und die Wahlen zu Chiles Präsidentenamt fast alle versprochenen Sehenswürdigkeiten auf dem Weg nach Santiago geschlossen. Einzig ein sehr schöner Ausflug hoch zu Ross im Valle de Elqui und ein ungeplanter Campingaufenthalt am rauen Pazifikstrand bringen etwas Abwechslung zum Alltagstrott, der vor allem aus vielen Autobahnkilometern durch die Wüste besteht. 

Und so sieht es hunderte und hunderte Kilometer aus
Campen am Pazifik
Mein Lieblingsbusch Jacaranda - überall in Chile
Klaus ausm Vogtland, Marlene aus Dänemark und wir im Valle de Elqui
Als wir uns mit einem österreichischen Pärchen nicht am gemeinsamen Abendessen beteiligen wollen, werden wir vom Reiseleiter sofort durch Missachtung gestraft. Halb belustigt, halb gelangweilt, lassen wir das über uns ergehen und sind froh, dass wir nach vier Tagen Santiago erreichen. Hier haben wir uns im Unterschied zu unserem ersten Santiagoaufenthalt über airbnb eine Wohnung gemietet. Wir genießen die Tage des Nichtstuns. Da wir Santiago bereits gut vom ersten Mal kennen, fühlen wir uns fast wie zu Hause. Wir treffen unsere neuen österreichischen Freunde. Wir lesen viel, verbringen Zeit im Internet, gehen einen Kaffee trinken, abends kochen wir oder gehen in eine Bar und ins Kino. Und wir machen uns viel Gedanken über die Reise, unsere Jobs und unser Leben in Deutschland. 

Home sweet home für vier Tage
Uns fallen nun auch wieder die Kleinigkeiten auf, die das Salz in der Suppe einer solchen Reise sind. Vor allem staunen wir über die kulinarische Langeweile dieses Landes. Als überwältigendes Must have gilt der Hot Dog, den es tatsächlich an jeder Ecke in Chile gibt. Das Würstchen wird in der Regel mit einer Tomate belegt. Hinzu kommt ein ordentlicher Schwung zugegebenermaßen sehr guter Avocados und als Krönung eine halbe Flasche Mayonaise. Fertig ist der sogenannte Italiano oder Completo – eine Kalorienbombe vom Feinsten. Als Nationalgericht wird uns zudem das Bife de los Pobre angepriesen. Ein je nach Lokal mehr oder weniger gutes Stück Rindfleisch wird mit Unmengen von gebratenen Zwiebeln und einem Spiegelei garniert. Dazu wird eine ordentliche Portion Pommes gereicht und nochmal ordentlich Butter drüber gegeben. Ich kann mich erinnern, dass dieses Essen Anfang der 90er Jahre auch in Deutschland noch durchaus als Non Plus Ultra herhalten konnte. Viel schlimmer ist jedoch die fatale Vorliebe der Südamerikaner für Zucker und das fast gänzliche Fehlen von gutem Kaffee und Frischmilch. Alles kommt aus dem Hause Nestlé und bei allem haben wir das Gefühl, dass in fast jedem Nahrungsmittel Zucker enthalten ist. 

Wir beobachten, dass Lunchpakete für Schulkinder aus Cookies, Bonbons und Schokoriegeln bestehen. Als Getränk gibt es einen 100% fruchtfreien Früchtesaft. Auch Tees und Kaffees sind häufig vorgesüßt. Sowohl in Chile als auch später in Argentinien ist Kaffee von Werk aus bereits mit Zucker versetzt. Auf die Frage, ob es auch Kaffee ohne Zucker gibt, ernten wir Unverständnis. Nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Chilenen mit deutlichem Übergewicht zu kämpfen hat, mehr, als dies in Deutschland der Fall ist. 
In Chile kommt hinzu, dass gefühlt 98 Prozent des Kaffees in chilenischen Supermärkten Instantkaffee ist. Einige Supermärkte führen sogar gar keinen echten Kaffee mehr, weil der Instantkaffee den Chilenen als Fortschritt gilt. Ob an Autobahnraststätten, in Bahnhöfen oder in Restaurants – die Chance einen normalen Kaffee zu bekommen, tendiert gegen Null. Und wenn man einen relativ guten Kaffee bekommt, dann muss man mit einem fragwürdigen Ambiente klar kommen. So gibt es in Santiago die so genannten Cafés con Piernes, also Cafés mit Beinen. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die ultimative Demonstration der südamerikanischen Machogesellschaft. Wie in einem Karussell servieren vollbusige, hochhackige und in schlimme Fummel gepresste Damen den Kaffee. Drumherum stehen zumeist ältere Herren, ob im Anzug oder nicht, und geben vor, ihren Kaffee zu trinken. In Wahrheit wird hemmungslos geglotzt. Und tatsächlich sieht man in diesen Kaffees auch kaum eine Frau unter den Gästen. So finden wir uns auch in Chile notgedrungen doch wieder dort ein, wo wir in Asien so häufig waren – bei Starbucks. Gerne kann man über Systemgastronomie lästern – bei Starbucks bekommen wir weltweit gleich einen guten Kaffee, eine Klimaanlage und freies W-Lan. Und nein, wir bekommen kein Geld aus Seattle überwiesen. Noch nicht :-)

Nach erholsamen Tagen geht unsere Reise weiter in Chiles Süden – diesmal wieder selbst organisiert. Unser Ziel ist das geheimnisvolle Patagonien. Über Pucon, die Hauptstadt des Outdoorsportes Chiles, fahren wir weiter nach Puerto Varas. Da wir noch vor der Hauptsaison in Chiles Süden unterwegs sind, können wir uns lediglich eine White Water Rafting Tour in Pucon buchen. Hinzu kommt ein strömender Regen, der den Aufenthalt im kühlen Seengebiet Chiles trotz wunderschöner Szenerie etwas unbehaglich macht. Puerto Varas, einst Hauptzuzugsgebiet vieler Deutscher, liegt an einem dieser wunderschönen Seen. 

Ready for rafting
Der Villarica in Pucon
Warten, dass die Wolken verschwinden
Und am nächsten Morgen in ganzer Pracht
Wir leihen uns Fahrräder und erradeln uns die nähere Umgebung. Nach 50 Kilometer bergauf und bergab auf zu großen und unbequemen Fahrrädern, tut uns alles weh. Wir zahlen mal wieder den Preis dafür, dass wir als Urban Travellers sehr sportlich sein und den Bergen unsere lachende Fratze zeigen wollen. Am Ende lachen wir eher gequält, sind aber dennoch froh, den Ausflug gemacht zu haben. Vom vielbeschworenen deutschen Einfluss in dieser Region ist übrigens nicht mehr viel zu sehen.  Zwar weisen Bezeichnungen wie Bäckerei Schmidt oder das Angebot von Kaffee und Kuchen noch deutlich auf die Teutonen in dieser Region hin, jedoch niemand spricht mehr deutsch und es ist nahezu unmöglich ein dunkles Brot zu bekommen. 

Ich kann nicht sagen, dass das einladend wirkt
Schokoladenladen Müdolph in Puerto Varas
Schön haben sie es hier
Da es von Chiles Seengebiet keine Straße ins tausende Kilometer entfernte südliche Patagonien gibt, wählen wir zur Abwechslung mal wieder das Flugzeug und fliegen nach Punta Arenas im tiefen Süden Chiles. Haben wir uns vor zwei Wochen in der Atacama Wüste in Chiles Norden noch einen zünftigen Sonnenbrand geholt, so empfängt uns hier Schneeregen und stürmischer Wind. Es ist Thanksgiving. Und dieses ungemütliche Wetter gepaart mit der fehlenden Thanksgiving Tradition in Chile machen vor allem Nicole schwer zu schaffen. Aufgehellt werden kann die Laune nur durch abertausende  Pinguine  auf der Isla Magdalena in der Magellan Straße. Die Magellan Straße trennt Chiles Region Patagonien vom sagenumwobenen Feuerland. Die Insel, die sich Chile mit Argentinien teilt, hat seinen Namen im Übrigen durch den Entdecker Magellan erhalten. Magellans Mannen sahen bei der Erkundung der nun gleichnamigen Magellan Straße am Ufer viele Lagerfeuer der nomadischen Indianer und nannten die Insel Isla Grande de Tierra del Fuego.  Nachdem wir über eine Stunde durch das blökende und nach Fisch stinkende Getier gestreift sind, ist Nicole nur schwer davon abzubringen einen Pinguin in den Rucksack zu packen. Ihre Laune ist nun jedoch wieder auf Weiterreise programmiert.

Nach Patagonien
In der Magellan Straße
Kleines Tänzchen gefällig?
Jemand ist happy

Das ist auch gut, denn nun wartet eins, wenn nicht sogar das Highlight unserer Reise. Spontan entscheiden wir uns doch dazu, Patagonien zu Fuß und damit so richtig zu erleben. Für vier Tage wollen wir mit dem Rucksack und dem Zelt durch den Nationalpark Torres del Paine wandern. In Puerto Natales versorgen wir uns mit Informationen und dem nötigen Equipment. Dazu zählen ein Zelt, Isomatten, ein kleiner Kocher, Campinggeschirr, Nudeln, Tunfisch, Tütensuppen und Nüsse in rauen Mengen. Auf dem Weg in den Nationalpark treffen wir mit Kim-Mai aus München und Marie aus Mannheim zwei Deutsche. Zu viert machen wir uns auf und durchstreifen in den kommenden Tagen Täler und Berge, dunkle Wälder, sehen mächtige Gletscher, unfassbar schöne Bergseen, Wasserfälle und natürlich die weltberühmten Türme von Paine – eben die Torres del Paine. Die vier Tage in Worte zu fassen, fällt schwer. Nach 70 Kilometern Wegstrecke kommen wir nach vier Tagen sehr stolz und verändert zurück nach Puerto Natales. Nicht nur, dass die Tage Spaß gemacht und uns an unsere Grenzen gebracht haben. Wir haben wiederum sehr feine Menschen kennengelernt. Unsere Reise ist nun irgendwie rund. Alles Weitere kann nur noch eine schöne Zugabe sein. Wir sind zufrieden und brechen auf nach Argentinien, wo wir die kommenden Wochen bis fast zu unserer Rückkehr nach Deutschland verbringen wollen. 

Als wären wir Wanderprofis
Unsere lustige Wandergruppe
Claciar Grey
An den Torres del Paine
Zurück in die Zivilisation